Bitte lies das hier

Wenn ich dir wichtig bin oder jemand wie ich, dann musst du diesen Beitrag bitte dringend lesen. Woher du weißt, wer so ist „wie ich“? Das erklär ich im Verlauf des Beitrags. Du kennst jemanden wie mich. Oder jemanden, der noch viel weniger privilegiert ist als ich. Also, egal wer du bist: Bitte lies das hier.

Ich bin fett

Ist dir das schon unangenehm? Gut. Mir auch. Da musst du jetzt durch. Erstmal zum Wort: Das Wort fett ist ja nur ein Adjektiv und beschreibt meinen Körper im Vergleich zu anderen Körpern. Andere Adjektive um Körper zu beschreiben sind zum Beispiel dünn, schlank, groß und klein. Ich weiß das. Und trotzdem fällt es mir im Deutschen wirklich schwer, dieses Wort für mich anzunehmen. Meine Alltagssprache ist Englisch und da fällt es mir wesentlich leichter, mich als „fat“ zu bezeichnen. Ich denke, dass das damit zu tun hat, dass ich wesentlich mehr auf Deutsch als auf Englisch beleidigt worden bin mit diesem Wort. Spannende Sache, das.

Was bedeutet das jetzt, dass ich fett bin? Es bedeutet, dass ich oft nicht im Laden Kleidung kaufen kann. Für andere Menschen, die fetter sind als ich, bedeutet das, dass sie gar nicht erst versuchen müssen, in einem Laden Kleidung zu finden, die ihnen passt. Ich muss also größtenteils online bestellen. Was mit weiteren Kosten verbunden ist. Eine Fettsteuer, wenn man so will.

Fett sein bedeutet auch, dass ich in der Öffentlichkeit nicht essen kann. Also, ich kann schon, aber ich muss damit rechnen, dass jemand das kommentiert. Und es ist egal, was ich esse. Früher oder später kommt ein Kommentar. Entweder, dass ich das nicht essen sollte oder dass ich gar nichts essen sollte oder dass es ja gut ist, dass ich jetzt einen Salat esse. Deswegen lass ich das meistens. Ja, immer noch. Mit 37. Denk da mal drüber nach.

Weiterhin bedeutet fett sein, dass ich beim Arzt nicht richtig oder gar nicht behandelt werde. Sobald mich Ärzt:innen sehen, werde ich beurteilt und werden jegliche Beschwerden dem Gewicht zugeordnet. Und die „Behandlung“ ist dann Gewichtsabnahme. Und ganz oft wird schnelle Gewichtsabnahme auch noch gelobt, auch wenn das ein Symptom sein kann von schwerwiegenenden Erkrankungen wie Krebs. Wie krank.

Fett sein bedeutet, dass Leute Witze machen über fette Leute und mir dann erklären wollen, dass das natürlich für mich nicht gilt. Ich sei ja anders, „nicht SO fett“ oder sonst ja ein guter Mensch. Bitte was?! Dass Leute abnehmen wollen – auch wenn sie nichts abzunehmen haben – und ihren „Lebensstil“ (es ist eine Diät, hör bitte auf, es anders zu nennen) zu ihrer Identität machen. Soweit, dass sie jeden anderen Menschen, der diesem Lebensstil nichts abgewinnen kann und fett ist, verurteilen. Dass Menschen tatsächlich glauben, dass man sich „fett fühlen“ kann. Fett ist kein Gefühl. Es ist eine Beschreibung. Und wenn du mir, einem fetten Menschen, erzählst, dass du dich fett fühlst und mir damit suggerierst, dass das was Schlechtes ist, dann weiß ich, dass ich bei dir nicht sicher bin. Denn du findest, dass eines der schlimmsten Dinge, die dir passieren können ist, dass du so aussiehst wie ich. Na, schönen Dank auch.

Ich bin behindert

Überrascht? Ich auch. Als ich Krebs hatte vor elf Jahren habe ich einen Schwerbehindertenausweis bekommen. 100%. Ich hab das mitgenommen, vor allem weil es damit Rabatte z.B. im Kino gab. Ich hatte außerdem großen Spaß daran, Menschen zu überraschen mit meiner Behinderung. Denn ich „sah nicht behindert aus“. Du weißt schon. Ich saß nicht im Rollstuhl und mir fehlte kein Körperteil; die einzige Hilfe, die man sehen konnte, war meine Brille. Stempel „nicht behindert“.

Dann war der Krebs endlich weg und ich bin umgezogen. Ich saß beim Arbeitsamt bei jemandem, der speziell für Schwerbehinderte verantwortlich war. Der hat mich dann gefragt, ob er die Behinderung eintragen soll. Ich hab ihn angeguckt wie ein Auto. Ich war so geschockt. Eintragen? Wieso DAS denn? Ich BIN DOCH NICHT BEHINDERT!!! Mir geht’s doch gut. Ha. Ich war so voll von internalisiertem Ableismus, dass er übergelaufen ist. Sowohl für mich als auch in der Beurteilung von Anderen. Da kann ich vielleicht nichts für und auch mein Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, nicht. Aber das Umfeld hat mich geprägt und irgendwann bin ich aufgewacht.

Was macht mich behindert? Das willst du jetzt natürlich wissen. Denn du musst beurteilen können, ob ich auch WIRKLICH behindert bin und – das ist besonders wichtig – Unterstützung verdiene. Also, bitteschön, ein bisschen Trauma für dich: Ich habe Depressionen, eine generalisierte Angststörung (mir gefällt das englische Wort „anxiety“ besser, aber gut), Menorrhagie, Migräne und Trauma von Dingen in meinem Leben, die ich hier nun nicht weiter disktutieren werde. Na, wie sehr schreit dein interner Ableismus jetzt, dass das ja gar keine richtigen Behinderungen sind, hm?

Momentan belastet mich die Menorrhagie am meisten. Je krasser die wird, desto schlimmer wird alles andere auch. Die depressiven und unruhigen Phasen werden schlimmer, die Migräne schaltet mich für eine volle Woche aus. Was Menorrhagie ist? Starke Menstruationsblutung. In meinem Fall auch dauernde. Seit mehreren Jahren. Das hast du schon richtig gelesen. Ich kann nicht länger als vielleicht zwei Stunden unterwegs sein, ohne dass ich entweder das Auffangsmedium wechseln muss oder mich ganz umziehen darf, weil ich durchgeblutet bin. Da bleib ich dann oft lieber zu Hause. Dank der Fettphobie und des Stigmas bzgl. mentaler Gesundheit werde ich auch häufig retraumatisiert, wenn ich Arzttermine habe, weswegen ich diese oft gar nicht erst vereinbare.

Ich bin arm

Ich hab mal ein bisschen Recherche betrieben, wo ich so auf dem Armutsbarometer lande. Dabei habe ich herausgefunden, dass ich größtenteils im Elend lebe. Lokal heißt das hier „destitution“ im Gegensatz zu „poverty“. Da hab ich erstmal geschluckt. Ich empfinde mich nicht als arm. Aber ich bin es. Ich bin tatsächlich in großer Not, wenn es ums die finanzielle Sicherheit geht. Krass.

Ich bekomme staatliche Unterstützung und – wenn ich Glück hab auch weiterhin – einen weiteren freiwilligen Beitrag von der Kommune, den ich spätestens alle 12 Wochen neu beantragen muss. Dieser Betrag sorgt dafür, dass ich den Teil meiner Miete bezahlen kann, der nicht von der allgemeinen Unterstützung abgedeckt ist. Ich hab dann am Ende genau £126 übrig für Strom, Wasser, Telefon und Internet. Ach ja, auch fürs Essen. Die Rechnung geht natürlich nicht auf, aber das ist meine Realität.

Nun habe ich das Privileg, dass ich mir insoweit weiterhelfen kann, dass ich selbstständig arbeite und so ein kleines Mehreinkommen habe, das mich die meisten Monate irgendwie über Wasser hält. Aber das reduziert meine Unterstützung natürlich auch, sodass schön dafür gesorgt wird, dass ich im Elend bleibe. Dennoch hilft mir diese Beschäftigung, ein Auto zu unterhalten, sodass ich immer eine Möglichkeit habe, kostenlose Lebensmittel abzuholen. Warum das Auto? Du musst verstehen, dass ich auch ein Leben vor dem Elend hatte – so wie viele andere Menschen in meiner Situation – und es auch Zeiten gab, zu denen ich wesentlich mehr Geld hatte. Außerdem ist es mir lieber, meinen eigenen Autositz vollzubluten als den Sitz im Bus oder im Zug. Die Menge, dich ich als Freiwillige von Supermärkten lokal abholen darf, ist zudem nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu machen. Und erst recht nicht mit dem Fahrrad. Es gibt mir obendrein ein gutes Gefühl, den Überschuss in der Nachbarschaft zu verteilen. An Menschen, denen es ähnlich geht wie mir und auf kostenlose Lebensmittel angewiesen sind.

Jetzt hab ich mich ultimativ gerechtfertigt für den kleinen Fiat 500, der mir ein winziges bisschen Freiheit schenkt. Warum? Weil ich das immer wieder vor den Latz geknallt bekomme. Wie arm ich denn sein könnte, wenn ich mir ein Auto „leisten“ kann. Ich kann mir das nicht leisten. Ich habe die Entscheidung getroffen, das Auto zu unterhalten und dafür keinen Cent zu budgetieren für Lebensmittel. So bleibt mein Kühlschrank voll, auch wenn ich über eine oder zwei Wochen mal nichts einkaufen kann, weil das Geld ausbleibt von meiner Selbstständigkeit. Warum bleibt das Geld aus? Weil ich wesentlich mehr Auszeit brauche als jemand, der nicht behindert ist. Weil meine 100% etwa 20-30% sind von Menschen, die keinerlei Behinderungen haben. Weil ich meine Preise so zugänglich mache wie möglich, denn das Letzte, was ich will, ist, dass sich andere Menschen ausgegrenzt fühlen, weil sie nicht das große Geld haben.

Was bedeutet es, dass ich arm bin? Ich kann keine großen Sprünge machen. Und ich kann keine Investition feiern, die Geld gekostet hat, ohne negativ beurteilt zu werden. Ich werde im Internet beschimpft, wenn ich mich dafür einsetze, dass Menschen – auch wenn sie „von Amt“ leben – genug Geld zum Leben bekommen. Es bedeutet, dass ich nicht in den Urlaub kann. Auch nicht zu meinen liebsten Freunden und Familie. Dass ich kein großes Sozialleben haben kann, denn das bedeutet meistens, dass man Geld ausgeben muss. Nicht jeden möchte ich zum ersten Treffen in meine Wohnung einladen. Dass ich auf Schulden von vor Jahren und solchen, die sich monatlich häufen (ich spreche von meiner Stromrechnung), sitze und es mittelfristig keinen Ausweg dafür gibt. Denn momentan geht es bei mir nur ums Überleben. Ja, auch nach Jahren noch. Du verurteilst mich dafür, guckst auf mich herab? Tausch mal mit mir für nur eine Woche. Dann reden wir weiter.

Ich bin bisexuell

Wenn wir uns persönlich kennen und das seit Jahren, dann mag das für dich neu sein. Also: Hallo, ich bin bisexuell! Wenn man ganz pingelig sein möchte, dann würde man wohl eher pansexuell sagen, aber das Wort fühlt sich nicht richtig für mich an, auch wenn die Bedeutung dahinter genau das ist, wie ich mich empfinde. Das Spannende an meiner Bisexualität ist, dass ich das bis vor Kurzem nicht wusste. Also vielleicht so bis vor zwei Jahren. Ich habe mir bis dahin mein Leben lang erfolgreich eingeredet, dass ich heterosexuell bin. Weshalb ich also niemals die Diskriminierung zu spüren bekommen habe, der andere bisexuelle Menschen ausgesetzt waren und sind. Ich war ja „normal“. Und ich war auch ziemlich bi-feindlich. Bisschen bi schadet nie und eigentlich sind Bisexuelle ja wirklich schwul/lesbisch. Ja, den Quatsch hab ich von mir gegeben.

Was bedeutet das jetzt? Meine Bisexualität bedeutet, dass ich mich jetzt mit vielen Dingen konfrontiert sehe, die ich zuvor einfach nicht wahrgenommen habe. Ich habe eine Gemeinschaft entdeckt, die unglaublich vielfältig ist (und mich mit offenen Armen empfangen hat). Und damit auch viele Stufen von Diskrimierung, die sehr gefährliche Formen annehmen. Ich sehe jetzt, wie Teile dieser Gemeinschaft so weit an den Außenrand der Gesellschaft gedrängt werden, dass sie um ihre Sicherheit fürchten müssen, wenn sie es nur wagen, vor die Tür zu gehen. Oder öffentlich glücklich darüber zu sein, sie selbst zu sein. Ich finde hier viele Gemeinsamkeiten mit den „Nachteilen“ Behinderung und Fettsein, die oft auch zu ähnlicher Ausgrenzung führen. Sobald sich diese ganzen Identitäten dann überschneiden, wird es schlimmer für den Einzelnen.

Ich habe in gewissen Kreisen Angst, meine Sexualität – und auch meine Geschlechtsidentität; da reden wir dann ein anderes Mal drüber – nach außen zu tragen, weil ich mich der zusätzlichen Diskriminierung nicht gewachsen fühle. Weil einige Menschen – du vielleicht auch – sich schon unfassbar eingeschränkt fühlen, wenn sie neue Pronomen lernen müssen. Wenn ihr Verständnis von Geschlecht und Sexualität umgeschmissen wird. Sich zu verstecken hinter „Normalität“ ist ein Privileg, das viele andere Menschen in der LGBTQIA+ Gemeinschaft nicht haben. Ich kann eine Maske tragen, sie nicht. Wie traurig, dass so eine Maske überhaupt nötig ist.

Ich bin Ausländerin

Moooment. Ausländerin? Aber du sprichst doch fließend Deutsch und siehst gar nicht ausländisch aus! Das gleiche gilt hier in England: Ich bin doch weiß und sehe doch gar nicht aus wie eine Ausländerin. Ich spreche auch nicht wie eine Ausländerin. Zwar packen mich die Briten immer wieder in neue Länder, wenn sie mich sprechen hören. Jedoch warte ich noch darauf, dass mich jemand in ein nicht-englischsprachiges Land packt. Alle denken, dass eine Form von Englisch ja meine Muttersprache sein müsse. Auch hier kann ich eine Maske tragen, was sehr vielen anderen Ausländer:innen nicht so geht. Hautfarben und „gebrochenes“ Englisch lassen sich nicht verstecken.

Was bedeutet es also für mich, Ausländerin zu sein? Also, solange ich funktioniert habe in der Geschäftswelt, hatte mein Deutschsein nur Vorteile. Die deutsche Arbeitsmoral wird hier gefeiert (und ausgenutzt…). Der Inbegriff des Kapitalismus; ich hab gelebt, um zu arbeiten. Bis ich komplett ausgebrannt war. Interessanterweise machen die Briten auch super gerne Witze über den zweiten Weltkrieg und denken, mit den Deutschen könne man darüber lachen. Wie krank. Deutsch zu sein bedeutet auch, dass Menschen mir ständig erzählen, wo sie schon mal in Deutschland waren oder versuchen, mir ihre Deutschkenntnisse vorzuführen. Ist meistens ganz nett, vor allem wenn’s vom Postboten kommt, der es ehrlich nur irgendwie cool fand. Oft nervt es, aber das ist nun wirklich kein Grund zur Beschwerde.

Ausländerin zu sein bedeutet aber auch, ausgegrenzt zu werden. Selbst für mich. Denn sobald es klar wird, schwarz auf weiß, dass ich nicht Britin bin, gehöre ich hier zur zweiten Klasse. Förderung für Weiterbildung? Unmöglich. Unterstützung vom Amt, wenn ich arbeitsunfähig bin? Ein Kampf sonder gleichen und ein Spießrutenlauf, der einem zeigt, WIE ausländerfeindlich dieses Land wirklich ist. Wenn einem das noch nicht aufgefallen ist seit Brexit. Aber wir haben ja jetzt einen BERICHT, dass das Land nicht rassistisch ist. Dann können wir das auch nicht sein. #Sarkasmus Wow, die Verblendung unter dieser Monarchie kennt keine Grenzen. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind hier Volkssport. Und das meiste davon bekomm ich ja gar nicht ab, weil man es mir nicht ansieht oder anhört.

Warum erzähl ich dir das alles?

Ich erzähl dir das alles, weil ich weiß, dass du jemanden wie mich kennst. Selbst wenn diese Person nur eine der hier beschriebenen Charakteristiken hat. Ich garantiere dir, so jemanden gibt es in deinem Umfeld. Und wenn du glaubst, dass das nicht so ist, bedeutet das nur, dass diese Person sich bei dir nicht sicher genug fühlt, um ihren „Nachteil“ deutlich zu machen. Lass das mal sacken.

Das war für mich nämlich sehr schwer zu verdauen. Ich hätte nicht geglaubt, wie viele rassistische Gedanken und Verhaltensweisen ich an den Tag lege. Wie homo- oder transphobisch ich denke und mich verhalte, wie ableistisch, fettphobisch usw. Und es gibt sicherlich noch mehr, die ich entdecken werde und denen ich mich annehmen muss. Vielleicht sind wir beide uns auch ziemlich ähnlich und ich hab dir jetzt ein bisschen die Augen geöffnet. Das wäre schön. Das ist der erste Schritt.

Aber dabei kann es nicht bleiben. Ganz besonders, wenn du alle Privilegien der Welt hast, musst du jetzt aufhören, das Elend in der Welt zu ignorieren. Du musst was tun. Denn Ignoranz und Nichtstun sind gefährlich und richten Schaden an. Wirklichen Schaden, greifbaren Schaden. Am priviligiertesten bist zu übrigens, wenn du ein weißer, schlanker Mann bist, der keine bis wenige kleine gesundheitliche Einschränkungen hat und genug Geld verdient, um dir ein Leben (und nicht nur Überleben) zu ermöglichen. Dann kommt die weiße, schlanke Frau mit den gleichen Kriterien und so weiter. Niemand will dir deine Privilegien wegnehmen. Also, deinen Lebensstandard, den du jetzt hast. Wirklich absolut niemand. Auch die Menschen nicht, die sich ganz unten in der Nahrungskette des Kapitalismus und des Patriarchats befinden. Was sie – und ich – wollen ist, dass du dich dafür einsetzt, dass wir alle die gleichen Möglichkeiten im Leben haben. Dass all unsere Grundbedürfnisse gedeckt sind, auch wenn wir arbeitsunfähig sind. Dass wir als Menschen respektiert und geachtet werden. Ist das zu viel verlangt?

Was kannst du jetzt also tun?

Hier ist das, was du für mich tun kannst: Wenn du den Drang hast, darüber zu reden, wie „dick“ du geworden bist und wie sehr du abnehmen musst, mach das bitte mit Menschen, die nicht fett sind. Am besten überdenkst du deinen Ansatz komplett, aber das ist ein guter Anfang. Wenn andere Menschen in deinem Umfeld Witze über Fette machen, unterbrich sie und erklär ihnen, warum das nicht witzig ist. Hör auf zu sagen, dass ich ja nicht SO fett sei und überhaupt ein besserer Mensch. Hör auf zu fragen, ob jemand, der jetzt abgenommen hat, jetzt endlich schön geworden ist, während du beschwörst, dass du mich schön findest. Stattdessen buddel mal etwas tiefer, woher diese Irrglauben kommen, dass nur ein schlanker Mensch Respekt verdient. Oder ein fetter Mensch, der Gewichtsverlust anstrebt. Schau dir an, wo es herkommt, dass Generationen Geld in eine milliardenschwere Industrie investieren, die dazu beiträgt, dass Menschen Essstörungen entwickeln. Finde heraus, wer dahinter steckt, dass du denkst, dass fett gleichgesetzt wird mit ungesund und hinterfrage das. Gesundheit ist übrigens auch keine moralische Überlegenheit.

Gesundheit ist ein Privileg, auf das viele Menschen keinen Einfluss haben. Es ist nicht Eigenverantwortung. Ganz oft sind es Gene. Hör auf, ableistische Sprache zu verwenden. Warum musst du Menschen als verrückt, dumm oder Idioten beschimpfen? Warum fragen, ob jemand taub sei, wenn sie dich nicht verstehen? Warum ist behindert ein negativ behaftetes Wort, ja sogar oft noch ein Schimpfwort? Recherchiere ableistische Sprache. Mach dich schlau, wie du deinen internalisierten Ableismus Stück für Stück abbauen kannst. Selbst wenn du noch Menschen wie mich verurteilst, behalte diese Verurteilung für dich und arbeite daran, Menschen uneingeschränkt Respekt entgegen zu bringen. Wenn du „Pech“ hast, ist es nur eine Frage der Zeit bis auch du eine Behinderung hast. Und was dann? Dich selbst beschimpfen? Lass es dir von mir, die das jahrzehntelang gemacht hat, gesagt sein: Das ist kein Dasein, dass dich glücklich macht.

Hör auf damit, Menschen dafür zu verurteilen, dass sie „auch nach vielen Jahren“ immer noch in Armut leben. Du kannst so lange an Manifestation glauben bis du blau anläufst; für viele (!) Menschen ist es einfach sehr viel schwieriger, aus der Armut und aus Situationen wie Obdachlosigkeit herauszukommen. Für manche unmöglich. Die brauchen dann nicht auch noch deine Herablassung oder auch dein Mitleid. Mitgefühl, gerne. Denn das führt dann hoffentlich dazu, dass deine Wut, die du vielleicht auf „Sozialschmarotzer“ hast, sich dann in Richtung Systeme lenken lässt. Statt sich über den Einzelnen aufzuregen, schreib doch deinem Abgeordneten im Bundestag. Sag denen, wie scheiße es ist, dass in einem der reichsten Länder der Welt es überhaupt solche Dinge wie Armut und Obdachlosigkeit gibt. Wir brauchen deine Stimme jetzt mehr denn je. Einige von uns werden sterben, weil wir uns das Überleben nicht leisten können. Nutz dein Privileg.

Nutz dein Privileg auch dafür, dass wir nicht die deutsche Geschichte wiederholen. Es hat doch auch damals angefangen mit Homosexuellen, Transsexuellen und dann Ausländern und Juden. Andersartigen. Merkst du denn nicht, in welche Richtung wir driften? Bist du bereit, anderen Menschen – vielleicht jüngeren Menschen oder sogar deinen eigenen Kindern – zu erklären, dass du NICHTS dagegen getan hast, weil es dir in deinem Leben zu gut ging? Weil du nicht ein paar neue Wörter lernen wolltest? Weil du denkst, dass in Deutschland Rassismus natürlich kein Thema mehr ist, weil wir jedes Jahr im Geschichtsunterricht den zweiten Weltkrieg bequatschen? Weil Frauen „doch jetzt gleichberechtigt“ sind und Türken und andere Ausländer sich ja nun auch nicht angleichen und deshalb eine Behandlung zweiter Klasse verdienen? Weil du es „geschafft hast“ in deinem Leben mit harter Arbeit und andere nur auch hart arbeiten müssen, um sich aus ihrer Situation befreien zu können? Weil du denkst, dass Schwarze doch kaum in Deutschland zu finden seien und es deshalb kein Problem darstellt, sie auszugrenzen und ihnen nicht zuzuhören? Weil das Patriarchat dir erfolgreich vorgeheuchelt hat, dass es nur Mann und Frau gibt und dazwischen nichts sein kann? Weil es ja normaler Teil einer Demokratie ist, eine AfD im Bundestag zu haben, die eindeutig rechtsradikal ist?

Willst du, dass es anderen Menschen schlecht geht? Ich glaube nicht. Selbst wenn wir uns nicht persönlich kennen, glaube ich fest daran, dass die meisten von uns für alle Menschen nur das Beste wollen. Und das bedeutet, unsere Privilegien zu nutzen. Die Stimmen von Menschen mit Behinderung, von Schwarzen Menschen, von Ausländern, von Fetten, von Transsexuellen, von Armen hervorzuheben und ihnen mehr Reichweite zu schenken als denen, die ohnehin gesehen und gehört werden. Mach dich schlau, wie du deine internen Vorurteile zum Vorschein bringen und ausmerzen kannst. Lerne, wie du dich in deiner direkten Umgebung einbringen kannst, um Missstände zu beseitigen. Eine automatische Tür für Rollstuhlfahrer funktioniert nicht? Melde das sofort. Jemand wird schlecht behandelt an deinem Arbeitsplatz? Gehe dazwischen, zeig Zivilcourage. Je privilegierter du bist, desto mehr kannst du tun. Desto weniger hast du zu befürchten, etwas zu verlieren. Und selbst wenn du etwas verlierst, lass es nicht die Nächstenliebe sein, sondern lieber die Gehaltserhöhung, wenn das bedeutet, dass eine benachteiligte Person in deinem Unternehmen dafür mehr Geld bekommt und so einen angemessen Lebenssstandard.

Wenn du es bis hierhin geschafft hast: Danke. Von ganzem Herzen, wirklich: Dankeschön! Jetzt liegt es an dir, die weiteren Schritte zu tun. Und wenn du Fragen hast, gern immer her damit. Respektvoll natürlich.

Und falls du jemand bist, der weniger privilegiert ist als ich und denkst, dass ich hier ordentlich was vermasselt hab: Bitte sag mir das, auch gerne ganz deutlich. Ich höre zu. Ich will’s besser machen. Für dich. Weil ich möchte, dass es irgendwann diese Privilegien nicht mehr gibt und jeder die Unterstützung und den Respekt bekommt, die jeder Mensch verdient und benötigt.

Veröffentlicht in Leben

4 Gedanken zu “Bitte lies das hier

  1. Mal eine Frage zur Menorrhagie, weil ich das vorher gar nicht kannte: Würde es helfen du würdest dich sterilisieren lassen? Eine Bekannte hat das durchgezogen, weil sie keine Kinder haben möchte und sie fühlt sich seither so viel besser (sie hatte mit starken Hormonschwankungen zu kämpfen)…

    Davon abgesehen finde ich die Bezeichnung „fett“ eine Beleidigung, nicht nur eine Beschreibung zu einem Körper im Vergleich zu einem anderen. Dann würde „dick“ vollkommen ausreichen.
    Ich finde es auch bedenklich, dass du gleich Ableismus unterstellst, bloß weil du keine körperliche sondern eine psychische Behinderung hast… Sicher können viele Menschen sich nicht vorstellen, wie das für dich ist, aber ist die Reaktion darauf nicht erstmal ein Versuch Empathie zu zeigen? Gleiches gilt was Armut und Sexualität angeht. Als „Durchschnittsmensch“ mit all den „Privilegien“ die du zumindest als solche beschreibst, verurteile ich Menschen weder wegen ihrer Erscheinung, noch wegen ihres Wohlstandes oder ihrer Sexualität. Würden wir uns treffen und du würdest mir auch nur eines dieser Themen erzählen, würde ich dir zuhören und versuchen zu verstehen, warum du damit gerade so sehr zu kämpfen hast. Ich würde versuchen es nachzufühlen, auch wenn ich nie in der Situation gesteckt habe und ich würde versuchen dir die richtigen Fragen zu stellen und dich aufzumuntern. Und egal was ich sagen würde, du würdest dir wahrscheinlich denken, dass ich ja keine Ahnung habe und blöd reagiere, dass ich deshalb fettphobisch, tansphoboisch oder sonstwas bin. Einfach weil du offensichtlich schon öfter die Erfahrung gemacht hast, dass Menschen offen ihre Vorurteile gezeigt haben.
    Die Wahrheit ist jedoch, dass es sehr schwer ist sich in das Leben anderer Menschen hineinzuversetzen. Ganz grundsätzlich. Die Wahrheit ist, dass Menschen die Mühe haben ihr Päckchen zu tragen, sich in ihrer Unzufriedenheit damit oft selbst verurteilen und auch vieles auf andere Menschen projizieren. Je mehr Päckchen dazu kommen, desto schwerer ist es sicher sich nicht bspw. für den kleinen Fiat zu rechtfertigen, den man fährt. Je mehr hinzukommt, desto schwerer wird es sicher sich vorzustellen, dass das Gegenüber keine Vorurteile hegt. Aber es gibt auch solche Menschen. Klar gibt es viele Idioten und wie wir wissen, schreien die leider meist lauter als eine Gruppe vernünftiger Menschen. Aber es gibt sie. Und es ist genauso vorurteilsvoll zu glauben jeder würde einen verurteilen, nur weil man sich öffnet und das eigene Päckchen offenbart. Jeder hat ein Päckchen zu tragen, die einen heimlich, die anderen ganz offensichtlich.

    Ich hoffe du hast genug Menschen in deinem Umfeld, die dich so nehmen wie du bist und die dich unterstützen. Oder dass du sie findest. Denn das Leben ist so viel mehr, als all die Herausforderungen denen man sich stellen muss. Leben heißt nicht aufzugeben, weitermachen, Möglichkeiten ausschöpfen, Neues wagen… und das tust du, wie du schreibst. Ich hoffe du bist auch ein wenig stolz auf dich, dass du über all das so offen schreiben kannst, dass du dich für andere in ähnlichen Situationen stark machen kannst, dass du weißt wer du bist, wie du dorthin gelangt bist, was du alles schon erreicht hast, was du vielleicht auch verloren hast und was es alles braucht um dein Päckchen zu tragen. Denn du trägst es. Du trägst es jeden Tag an dem du morgens aus dem Bett aufstehst und den Tag meisterst, mit all den Herausforderungen die er auch mit sich bringen möge.
    So, jetzt habe ich viel zu viel geschrieben! LG

    1. Zur Menorrhagie: Kann sein. Die Ärzte stellen sich hier alle ein bisschen scheiße an und wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, möchte ich auch keine größere OP.

      Zu dem Rest: Von deiner Beschreibung entnehme ich, dass du keine meiner Marginalisierungen teilst. Wenn ich mich selbst als fett bezeichne, dann ist das so und dann brauche ich keine Belehrung von jemandem, der nicht betroffen ist, um mir zu sagen, wie falsch es sei etwas, das immer gegen mich verwendet wurde, nun positiv für mich zu beanspruchen.

      Ich gehe nicht weiter auf den Rest ein, denn du willst dich und deine Gefühle nur selbst in den Mittelpunkt stellen und bist somit komplett am Ziel vorbei. Du hast genau die Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die mich unsicher fühlen lassen. Lass dir auch gesagt sein, dass privilegiert sein nicht bedeutet, dass man es einfach hatte. Jeder hat so sein Päckchen zu tragen. Was ich hier beschreibe, sind keine Päckchen. Das sind Diskriminierungen, die ich und andere Menschen ERtragen müssen, weil Leute wie du nicht sehen, dass diese Ungleichheit ein Problem darstellt.

      Ich brauche auch niemanden, der mich „aufheitert“, wenn ich mein Leid teile. Ich brauche weder Mitleid noch Ratschläge; besonders wenn ich nach letzteren nicht gefragt habe. Hier ist mein ungefragter Ratschlag und meine Bitte an dich: Bleib fern von mir und meinem Blog. Ich fühl mich nicht sicher in deiner Gegenwart. Und wenn du was „tun“ möchtest, dann untersuch deine Privilegien und wie du sie nutzen kannst, die Welt zu einer besseren zu machen ohne dass du diskriminierten Menschen ihre Erfahrungen absprichst. Ein schönes Leben noch.

  2. Achso! Natürlich. Die dummen, fetten wieder. Brauchen immer bisschen länger um es zu kapieren.
    Fette Sache, wie dich das Wort FETT so stört. Ich frage mich wie deine Mitmenschen dich behandelt haben? Wurdest du vielleicht auch in der Schule gemobbt? Haben sie dich fett genannt? Oder gefällt dir das Wort einfach nicht? Ekelt es dich? Oder warte… Vielleicht bist du einfach nur FATPHOBIC. (Google es.)
    Und Zukünftig, wenn du einen Post wie diesen siehst, lieber nochmal drüber nachdenken ob dein Kommentar hilfreich ist. Und bitte keine „Gesundheits“ Ratschläge, außer du bist ein/e Gynäkologe/in und hast Pläne nach London zu fliegen und zu helfen.

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